Idrisistible

Das mit dir hat morgens halb fünf nach einer langen Nacht begonnen. Nach ein paar Stunden Anpöbeln hast du mich das erste Mal virtuell ins Bett und danach an dich gedrückt. Als ich so einsam und ganz für mich fast in deinen Armen lag und sich über so viel Empathie kurzzeitig mein Herz öffnete wusste ich bereits, dass ich dich kennenlernen muss.

 

Am nächsten Abend sitzen wir dann da, du in rot und ich ganz rot. Aber du bist nicht wirklich mein Typ und deine Arroganz nervt mich. Nach ein paar Drinks fragst du, ob du mich küssen darfst, ich stimme zu, aber fühle nichts bei diesem Kuss. Ich weiß nicht genau, warum ich dich mit zu mir nehme. So wirklich hast du mich nicht überzeugt, aber ich fühle mich irgendwie wohl bei dir. Und da steht etwas zwischen uns, was erkundet werden muss. Irgendwann hast du genug von unserem langweiligen Smalltalk. Du hebst mich hoch, trägst mich durch die Wohnung in mein Bett. Meine Wahrnehmung ist zu vernebelt, um dich jetzt detailliert spüren zu können, dennoch bemerke ich deine Leidenschaft. Wie du es mir versprochen hast, liege ich danach in deinen Armen. Es fühlt sich fremd an, ich kenne dich überhaupt nicht. Mir gefällt es, dass du nicht gekommen bist. Mit mir hat das Ganze begonnen und mit mir endet es auch. Erfrischend denke ich, während ich so auf dir liege, bevor mir die Nähe zu viel wird und ich dich raus in den Morgen schicke. 

 

Auch wenn ich mich nach dem Aufwachen fühle, als hätte ich mich selbst und meinen Körper verraten, kann ich irgendwie nicht von dir lassen. Du bist noch immer nicht mein Typ und ich bin noch immer genervt von deiner Arroganz - wahrscheinlich mindestens so sehr wie du von meiner Ignoranz. Aber ich erinnere mich noch jetzt an dieses Gefühl, dass du der einzige bist, bei dem ich mich über dich auskotzen möchte. 

Deswegen stehst du auch bald darauf wieder vor meiner Tür. In deiner Gegenwart verhalte ich mich seltsam. Vielleicht habe ich das Gefühl, dass bei dir Raum für all das Negative in mir ist, das so lange einen Ort zum Ankommen gesucht hat. Deine Worte haben darauf hingedeutet, dass ich bei dir fündig werde, was eventuell den Blödsinn erklärt, der unsortiert und chaotisch aus meinem Mund sprudelt. Naja, wer weiß das heute noch so genau.

 

Desinteressiert möchte ich auf eine deiner desinteressierten Fragen antworten, breche aber mitten im Satz ab, als deine Hand ohne Ankündigung meine empfindlichste Stelle findet. Nicht wie ich es kenne, mit voller Wucht und ganzer Kraft. Im Gegenteil; zurückhaltend, kaum spürbar, wie ein leichter Windhauch. All meine Gedanken, all meine Sinne fließen zu dieser minimalen Berührung und nisten sich in ihr ein. 

Wie es dazu kommt, dass ich später neben dir liege und weinen muss, ist verschwommen. Du hältst irgendwelche Reden, aber es ist schon wieder morgens halb fünf und ich bin völlig übermüdet. 

Als ich in deinen Armen aufwache, schläfst du noch. Ich fühle deine Wärme, deine Körpergröße, deine schönen Hände, deine Haut an meiner Haut. Und obwohl diese Version von dir an diesem Morgen die letzte sein wird, die ich jemals zu Gesicht bekommen werde, wird sie meine Welt auf den Kopf stellen; In der nächsten Stunde verliebe ich mich in einen Menschen, den ich nie wieder sehen werde. Ich mache mir keinen Vorwurf deswegen. 

 

Wieder diese schwerelose Berührung zwischen meinen Beinen, die mein ganzes Ich ins hier und jetzt holt. Nichts zählt mehr für mich außer diesem Bett, deinem Körper an meinem und dem anschwellenden Gefühl in mir. Mein Kopf ist so leer wie noch nie. Zum ersten Mal in sechsundzwanzig Jahren lasse ich mich endgültig fallen. Ich liebe alles daran. In unserem Vacuum ist es mir gleichgültig, dass ich zwei Termine verpasse, ist mir gleichgültig, dass du meinen Körper im Tageslicht nun nicht mehr nur halb verschwommen erkennen kannst. Mir ist nicht wichtig, was vor unserem Vacuum passiert ist, und was danach geschehen wird. 

Ich habe keine Ahnung, was in diesen Sekunden in deinem Kopf vorgeht, aber die Art von Respekt und Hingabe, mit der du mich leckst, gibt mir das Gefühl, dass ich und meine Lust gemeint sind.

Du lässt auch deinen Fingern Zeit, überstürzt nichts, erzwingst nichts.

Dann liegst du hinter mir, tief in mir, füllst mich so sehr aus, dass kein Platz mehr zum Denken bleibt. Dein rechter Arm hält mich fest, mit der linken Hand baust du nun endlich immer mehr Intensität auf. Ich weiß nicht, wie lange ich so in deinem Griff vor mich hin existiere, aber es ist einer der vollkommensten Momente meines Lebens.